Patagonien, hin und her zwischen Chile und Argentinien über die südlichsten Teile der Anden, 27.1.2012 bis 8.3.2012

El Calafate ist einerseits eine Frucht, ähnlich den in der Schweiz verbreiteten Heidelbeeren, andrerseits eine argentinisches Dorf  am Fusse der südlichen Anden. Nach 300km, zur Abwechslung auf fast durchgehend asphaltierter Strasse, finden wir in Calafate das Camping „El Niriguao“. Es wurde uns von anderen Reisenden empfohlen, hat sehr schnelles Internetzugang mit Wi-Fi in einem geheizten Aufenthaltsraum und ist sehr sauber.  Letzteres ist bei Campings in dieser Gegend sonst weniger üblich. Mit 25 Peso (5.30 sFr.) pro Person und Nacht, ist der Preis trotzdem nicht hoch. Bei der Einfahrt entdecken wir sogleich das Fahrzeug von Christoph und Beatrice. Die beiden stammen aus Biel. Wir haben sie schon in Feuerland, in Ushuaia getroffen. Zu diesem Zeitpunkt können wir noch nicht wissen, dass wir die beiden später etwa 1000km nördlich mit einem etwas umgeformten Fahrzeug wieder treffen werden. Zum Glück wird es beim Unfall mit einer ins Schleudern geratenen chilenischen Autofahrerin bei Sachschaden bleiben und Christoph und Beatrice werden trotzdem ohne wesentliche Einschränkungen weiterfahren können. Schliesslich wollen sie noch bis nach Kanada.


Zu Feuerland hier noch ein Nachtrag zum letzten Bericht. „Spuren von Feuer“, so heisst ein ins Deutsche übersetztes Buch (Autor Federico Ezequiel Gargiulo, ISBN 978-987-24524-1-4) das die wahre Geschichte von drei Jungen Leuten erzählt, die eines schönen Tages den Entscheid treffen, sich auf ein Abenteuer zu einem der unberührtesten und entlegensten Orte der Erde zu wagen: Die Halbinsel Mitre, im extremen Südosten Feuerlands. Bei der im Buch erwähnten Estancia Haberton waren auch wir, der Weg dorthin war aber für uns nicht ganz so abenteuerlich.


Im kürzlich eröffneten Museum Glaciarum in El Calafate, bekommen wir eine ausgezeichnete Einführung zum Thema Gletscher, deren Entstehung, Verbreitung und Bedeutung für das globale Klima. Für ein Mal müssen wir auch nicht unsere bescheidenen Spanischkenntnisse bemühen. Alle Beschreibungen, Erklärungen und Filme sind  in (gutem) Englisch vorhanden. Der für diese Gegend unüblich hohe Eintrittspreis von 80 Pesos (17.- sFr.) pro Person, scheint uns gerechtfertigt. Umso mehr als wir hier als Rollstuhlfahrer und Begleiterin nichts bezahlen müssen. Tags darauf besuchen wir die spektakuläre Naturschönheit, den 60-100m hohen Gletscher Perito Moreno. Mit lautem Dröhnen brechen hier jede Stunde riesige Stücke ab und schwimmen wie kleine Eisberge im milchig-trüben Wasser des Gletschersees. Von einer rollstuhlgängigen, weitläufigen Plattform aus, kann man das Geschehen aus nächster Nähe verfolgen. Direkt beim Zugang, gibt es eigentlich nur Parkplätze für Busse. Mit einem unter Wohnmobilreisenden bekannten Trick gelingt es aber, dort im Fahrzeug zu übernachten. So sind wir bei Sonnenaufgang die ersten und einzigen, die uns dem Gletscher nähern. Natürlich bei ziemlich tiefen Temperaturen. Zwei Stunden später, als die ersten Touristen mit Bussen kommen, können wir im warmen Duro das Frühstück geniessen und zuschauen, wie sich mehr und mehr Leute auf der Plattform einfinden.


Bevor wir weiter nördlich ins 250km entfernte El Chaltén fahren, verbringen wir nochmals eine Nacht im netten Camping, wo wir bereits die Woche zuvor waren. Wir tanken Wasser, Lebensmittel und Diesel voll auf, denn bis wir wieder eine grössere Ortschaft erreichen werden, dürfte es eine Woche dauern. Schon von Weitem zeigt sich uns das Traumziel für Bergsteiger, der Fitz Roy. Mit 3405m zwar einer der niedrigeren Berge Argentiniens, aber um ihn zu besteigen muss man mehr als nur ein bisschen Erfahrung im Extremklettern haben. Ernst Scherrer, ein Cousin von Peter, war vor etwa 40 Jahren an dessen Erstbesteigung beteiligt. Die nächsten Tage versteckt sich der Fitz Roy oft in den Wolken. So hält sich Margrit in sicherer Distanz vom Berg und begnügt sich mit Wanderungen an dessen Fusse.

 

Nach El Chaltén geniessen wir noch 100km asphaltierte Strasse, bis wir auf  mal bessere mal üblere Schotterpisten kommen, die unsere Durchschnittsgeschwindigkeit während den folgenden 600km auf unter 40km/h beschränken. Im nur aus wenigen Häusern bestehenden Dorf Hypólito Yrigoyen tanken wir nochmals voll, bevor wir uns im Geländegang auf einem in unserer Karte nicht eingezeichneten Weg zum Pass Paso R. Roballo aufmachen. Der Weg sei nur für 4x4 Fahrzeuge mit viel Bodenfreiheit passierbar, sagt uns ein Einheimischer. So ist dann auch und wir folgen den Spuren in die Richtung, die uns das Navi anzeigt. Allmählich beginnt es zu regnen. Zuerst freuen wir uns über etwas Feuchtigkeit, da wirbelt es weniger Staub umher. Als dann mit stärker werdendem Regen die Lehmstrasse anfängt schmierig zu werden, sind wir froh Reifen mit guten Profil zu haben. Wir versuchen so zu fahren, dass uns der Dreck den unsere Räder hochschleudern, nicht überholt. Ohne Zwischenfälle kommen wir so kurz vor der Passhöhe auf die normale Passtrasse, die breiter ist und weniger tiefe Unebenheiten hat. An der argentinischen Passkontrolle windet es heftig, und Margrit erkundigt sich im Häuschen, ob Peter im Fahrzeug bleiben dürfe. Der Grenzbeamte wirft einen Blick durchs Fenster und stimmt zu. Einige km später erreichen wir den chilenischen Zoll. Im heftigen Regen sind auch Hagelkörner drin. Zwei Beamten die keinen Dienst haben, sehen wir Peter aussteigt. Rasch kommen sie zur Hilfe und rufen auch den diensthabenden Zollbeamten herbei. So gelingt es uns ziemlich trocken ins Zollhaus zu kommen und dort die Formalitäten zu erledigen. Allmählich lässt der Regen nach und wir sehen mehr von der eindrucksvollen Landschaft. Kurz bevor wir das erste grössere Dorf in Chile erreichen, machen wir eine unliebsame Entdeckung. Diesel wird einmal mehr zum Thema. Zu diesem Zeitpunkt wissen wir noch nicht, dass zwei Wochen später Diesel für tausende von Einwohnern und alle Reisenden zum Hauptthema werden wird. Zurück zu unserem Problem. Auf der holprigen Strasse ist bei unserem Reservetank die eine der beiden Halterungen gebrochen, der Tank hängt schief und droht herunterzufallen. Zunächst pumpen wir aus dem vollen Tank soviel Diesel wie möglich aus, um das Gewicht zu reduzieren. Trotzdem bleiben, nachdem unsere Reservekanister und der Haupttank platsch voll sind, immer noch 50l im Reservetank. Mit Seil und Spannset fixieren wir den Tank provisorisch. Am nächsten Tag fahren wir vorsichtig ins Dorf Cochran. Ein Taxifahrer nennt uns die Adresse eines Mechanikers der schweissen kann. Der nimmt sich am Nachmittag des Problems an und schweisst die Halterung neu am Chassis an. Da in seiner Werkstatt kein Platz ist für unser Fahrzeug, macht er das auf der vorbeiführenden zweispurigen Hauptstrasse. Nach knapp 1.5 Stunden sind die Schweissarbeiten fertig, wir bezahlen dafür umgerechnet Fr.19.-


Da am Wochenende in Cochran ein grosses Fest mit Pferden und Rodeo stattfindet, entschliessen wir uns, bis dahin zu bleiben. Einige km ausserhalb des Dorfes, finden wir am Ende einer 15km Berg- und Talstrasse an einem See einen wunderbaren Übernachtungsplatz. Bei herrlichem Wetter geniessen wir hier die Ruhe und nutzen die Zeit zur Reinigung unseres Reisemobils.  Im Luftfilter hat sich eine ganze Menge Staub angesammelt.Am Wochenende treffen wir am „XIV Fiesta Costumbrista Cochran 2012“ weitere Reisende, denen wir unterwegs schon begegnet sind. Mit ihnen und schätzungsweise weiteren 300 Zuschauern verfolgen wir bei schönem Wetter die Wettkämpfe mit Schafen, Stieren und vor allem Pferden. 


Am Montag ziehen wir weiter nordwärts. Wir fahren jetzt auf der „Carretera Austral“. Die Planung für diese Schotterpiste in den Süden Chiles begann 1968. Die Strasse wurde aber erst nach dem Jahr 2000 fertig gestellt. Zu Unrecht wird sie oft als Verdienst des Militärs, unter dem ehemaligen Diktator Pinochet dargestellt. Nach einem Tag erreichen wir einen der grössten Seen Südamerikas. Auf argentinischer Seite heisst er Lago Buenos Aires, auf chilenischer Lago General Carrera. Hier befinden sich die Marmorfelsen. Das Wasser hat die Felsen ausgehöhlt und mit einem kleinen Boot können wir durch das kellerartige Gewölbe fahren. 


Coyhaique ist mit 40'000 Einwohnern die grösste Stadt der Region. Hier wollen wir einkaufen und auftanken. Als wir am Vormittag in die Stadt einfahren wollen, werden wir plötzlich gestoppt. Die Strasse ist mit brennenden Reifen blockiert.  Fischer, Studenten, Taxifahrer und weitere Leute sind mit der Politik im fernen Santiago nicht zufrieden und errichten in der Region Strassensperren. Eine Umfahrungsmöglichkeit gibt es nicht. So bleibt uns nichts anderes übrig als zu warten und zu hoffen, der stinkende Rauch der brennenden Reifen komme nicht in unsere Richtung. Wir haben noch Glück. Ganz in unserer Nähe ist ein Hotel mit Wifi. So haben wir während der 4 Stunden die wir vor der Blockade warten, wenigstens Internetzugang. Am Nachmittag werden wir von den Protestierenden etwas unfreundlich an der Blockade vorbeigelassen. Wir brauchen noch Muttern für die Treppe beim Einstieg in den Wohnbereich. Durch das viele Schütteln sind sie herausgefallen. Metrische Schrauben und Muttern zu finden, gestaltet sich schwieriger als erwartet. Erhältlich sind hier fast nur „Indianergewinde“, wie es Thomas, ein ehemaliger Arbeitskollege von Peter, jeweils zu sagen pflegte. So werden wir halt nicht nur die Muttern sondern auch ein paar Schrauben zusätzlich ersetzen müssen. Nach den Einkäufen erkundigen wir uns nach dem Weiterkommen Richtung Norden. Es sieht nicht gut aus. In der ganzen Stadt gibt es keinen Treibstoff mehr und weiter nördlich gibt es weitere Strassensperren. Geplant haben wir, noch weiter auf der Carretera Austral nördlich zu fahren und dann über einen kleinen Grenzübergang nach Argentinien zu fahren. Dazu müssen wir aber Diesel haben. Wir entschliessen uns, ein paar Tage zu warten und fahren dazu auf einen Hügel oberhalb der Stadt, wo wir in einer Waldlichtung einen schönen Stellplatz finden. Wir sind erstaunt über solche Entwicklungen in Chile. Vor unserer Reise waren wir der Meinung, in Chile gebe es so was nicht. Auf der anderen Seite können wir durchaus verstehen, dass sich die Leute in dieser Region vernachlässigt vorkommen. Unsere Pläne, noch die chilenische Insel Chiloé zu bereisen, geben wir auf.


Von TrackAndin, einer CD für Routen mit Geländefahrzeugen in Südamerika, wissen wir vom schwierig zu befahrenden Passübergang „Lago Verde - Las Pampas“. Auf diesem Weg wollen wir  Chile verlassen und zum 4. Mal auf unserer Reise in Argentinien einreisen. Bis zum chilenischen Grenzgebäude ist die Strasse ganz passabel.  Wir sind für heute die ersten und möglicherweise auch die einzigen Leute die über diese Grenze fahren. Schnell erledigt der Zöllner die Ausreiseformalitäten und meint mit einem Lächeln auf den Stockzähnen etwa, hier geht's lang, viel Spass. Die Passstrecke gefällt uns ausserordentlich. Zwar ist der Pass mit 899m gar nicht hoch, aber die Strasse gleicht doch manchmal einem Bachbett und stellenweise ist das Bachbett unser Weg. Glücklicherweise führen die Bäche zu dieser Jahreszeit wenig Wasser. Ein Mal müssen wir fast die Axt hervorholen. Mit genauem Zielen und Wegbiegen von Ästen kommen wir dann gerade noch ohne sie aus und können uns zwischen Bäumen und Sträuchern durch quetschen. Da wir Tags zuvor im Internet die Wettervorhersage angeschaut haben, sind wir bei Tagesanbruch gestartet. Das bewährt sich, sind wir doch am Nachmittag als der angekündigte Regen eintrifft, bereits wieder auf zivilisierten Strassen in Argentinien. 


Nach 300km Schotterpiste, Lehmwegen und Flussbett, legen wir die 200km nach Esquel förmlich rasend auf der asphaltierten Strasse zurück . Da besuchen wir am Wochenende das städtische Jubiläumsfest, wo wir es aber bei der ausserordentlich lauten Musik nicht allzu lange aushalten. Besser gefällt uns am Sonntag im naheliegenden Trevelin das Rodeo, wo die Reiter (Gauchos) in einem Wettkampf zeigen, wie gut sie mit den Pferden umgehen können. Tags darauf besuchen wir das Wasserkraftwerk mit dem Staudamm Complejo Hidroelectrico Futaleufú. Von 1971-1976 wurde die Anlage gebaut um das Luftlinie 550km entfernte, gleichzeitig gebaute Aluminiumwerk in Puerto Madryn mit Strom zu versorgen. 4 Francis Turbinen liefern eine Gesamtleistung von 448MW, was etwa 50% der Leistung des KKW Gösgen entspricht. Mit 7500 km² hat der Stausee ein riesiges Einzugsgebiet. Im darin liegenden Nationalpark Los Alerces verbringen wir die nächsten Tage an schönen Seen. Margrit macht eine siebenstündige Bergtour. Für diesen Zweck haben wir Funkgeräte dabei und haben so immer Kontakt zueinander.


El Bolsón war in den 60er Jahren die „Hippie“ - und Aussteiger Haupstadt Argentiniens. Der Markt am Samstag mit viel Kunsthandwerk sind wohl Folgen aus dieser Zeit. Da sind auch viele Touristen anzutreffen, die mit Bussen aus dem 130km entfernten San Carlos de Bariloche anreisen. Die Schattenseite von Tourismusgebieten bekommen wir leider auch zu spüren. Auf einem Aussichtspunkt haben wir unser Fahrzeug abgestellt. Als wir zurückkommen müssen wir feststellen, dass jemand versucht hat, in unser Fahrzeug einzudringen. Eines der Fenster im Wohnbereich wurde mit Werkzeugen aufgedrückt. Niemand konnte aber eindringen und es wurde uns gar nichts gestohlen. Auch der Sachschaden ist gering und wir können den Schliessmechanismus wieder selbst reparieren.


Allmählich müssen wir uns Gedanken machen, wo wir unser Fahrzeug sicher stehen lassen können, während wir in die Schweiz zurückkehren. Von anderen Reisenden erhalten wir den Tipp, in Bariloche doch beim Schweizer Club nachzufragen. Nach einigen Recherchen im Internet und Suchen vor Ort, finden wir schliesslich dessen Präsidenten. Ein 72 jähriger Mann, dessen Eltern 1930 aus dem thurgauischen Diessenhofen nach Argentinien auswanderten. Ein sehr freundlicher Mann, der uns Platz für das Fahrzeug bei seinem Haus oder beim Clubhaus der „Suizos Bariloche“ anbietet. Gerne nehmen wir das Angebot an und planen unsere weiter Route so, dass wir in 5 Wochen wieder nach Bariloche kommen werden. 


Die 100. Nacht haben wir vor ein paar Tagen in unserem Reisemobil verbracht. 10'000 km sind wir  gefahren. Viele Leute die ebenfalls unterwegs sind, haben wir teilweise mehrfach getroffen, wie etwa den Velofahrer Michu aus Lützelflüh oder zwei argentinische Frauen mit 3 Pferden und einem Hund. Viele neue Erfahrungen haben wir gemacht. So bedeutet z.B. das Vorhandensein einer Tankstelle noch lange nicht,  dass dort gerade Treibstoff vorhanden ist. 

 

Im Süden wird es langsam herbstlich, die Temperaturen liegen kaum mehr über 20 Grad. Wir fahren nun  wieder nach Chile über den (bloss) 1300m hohen „Paso Cardinal A. Samoré“, Richtung Osorno, Valdivia. Dann kommt unsere „Urlaub“ in der Schweiz, vom 19. April bis 22. Mai. Am 3. Mai 2012 feiert Peters Vater seinen 90. Geburtstag. Dabei wollen wir ihn und seine Gäste begleiten.