Quer durch Paraguay und Uruguay vom 8.4.2013 bis 25.5.2013

Schon vor der Einreise in Paraguay wissen wir, dass wir erst nach über 300km eine Bank und einen Geldautomaten finden werden. Vor der Grenze können wir unsere übriggebliebenes Geld aus Bolivien in paraguayische Guariní umtauschen. So können wir dem letzten bolivianischen Polizisten der Schmiergeld will, guten Gewissens sagen, wir hätten keinen einzigen Boliviano mehr. 

Paraguay begrüsst uns mit einem freundlichen Grenzbeamten. Die temporäre Importbewilligung für unser Fahrzeug erhalten wir direkt bei der Grenze in Infante Rivarola, die Einreise der Personen und damit die Stempel in unsere Pässe gibt es erst nach 230km, in Mariscal-Jose-Estigarribia. 25 Km westlich des Ortes, gibt es eine kleine Schweizer Siedlung mit dem Namen Rosaleda. Die Regenzeit ist vorbei, die Strasse ist trocken. So können wir problemlos ins Dorf fahren und lernen bald die meisten der noch knapp 20 Einwohner, fast alles Schweizer Auswanderer, kennen. Bei Ruth und Beat, die seit über 10 Jahren hier leben, werden wir herzlich im schönsten Schweizer Dialekt den es gibt, begrüsst. Die beiden sind aus dem Emmental hierher, in ein sehr dünn besiedeltes Gebiet in Paraguay gezogen. Im Dorf gibt es weder Strom- noch Wasserversorgung. Jedes Haus hat eigene Solarzellen mit Batterien und als Ergänzung dazu einen mit Diesel betriebenen Generator. Wasser sammelt man während der Regenzeit vom Dach und leitet es in grosse Zisternen. Das muss längere Zeit ausreichen, denn es kann schon einmal vorkommen, dass es zwischen April und September nie regnet. So wie man in der Schweiz oft auf Sonne wartet, warten hier die Leute viel sehnlicher auf Regen.

Wir sind fasziniert vom Leben und den vielen Geschichten, die uns die Rosaleder erzählen. Eine der vielen Episoden sei hier weiter gegeben. Einmal war eine Verwandte zu Besuch. Dabei erlitt sie einen Herzinfarkt. Sofort fuhr mit ihr eine Bewohnerin von Rosaleda ins 25km entfernte Mariscal, um die Patientin dann ins 150km entfernte Spital zu transportieren. Zwar gab es in Mariscal einen Krankenwagen, aber der zuständige Fahrer war mit Bauarbeiten beschäftigt. Deshalb war der Platz zum Liegen im Krankenwagen gerade mit Ziegelsteinen belegt. Also musste die Patientin trotz schlechten Gesundheitszustandes auf dem Beifahrersitz die 125km ausharren. Glücklicherweise verlief die Sache gut und nach der sehr guten Erstbehandlung in Paraguay, wurde die Patientin mit medizinischer Begleitung, organisiert und finanziert von der Rega, in die Schweiz geflogen. Zum Glück war die Strasse nach Rosaleda zu dem Zeitpunkt trocken. Denn bei Regen wäre sie mit dem Auto nicht passierbar gewesen. Und Helikopter gibt es in diesem abgelegenen Gebiet mit der Bezeichnung Chaco keine.

Eine Woche bleiben wir in diesem sehr abgelegenen Dorf. Im kleinen Dorfladen können wir uns mit Lebensmitteln eindecken und haben dort sogar Internetverbindung. Wenn nicht der Termin für unsere Rückreise immer näher käme, würden wir wohl noch lange bleiben. Einmal mehr müssen wir uns von lieb gewonnenen Leuten verabschieden.


Kurz bevor wir nach 150km in Filadelfia eintreffen, müssen wir zum ersten Mal auf unserer Reise Rad wechseln. Ein spitziges Stück Hartholz hat den rechten Hinterreifen durchstochen. Erstaunt stellen wir später in der Werkstatt fest, die Chefin spricht perfektes Hochdeutsch. Wir sind in einer Kolonie der Mennoniten angekommen. Im kleinen Informationsbüro weiss uns die Frau viel über die Geschichte der Mennoniten zu erzählen und im hübschen Museum erfahren wir viel über das Leben der Einwanderer im Chaco. Die Mennoniten sind eine christliche Glaubensgemeinschaft, entstanden im Norden Deutschlands im 15 Jahrhundert aus der Täuferbewegung. Die Mennoniten leisten keinen Militärdienst und wurden deshalb zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus Russland vertrieben. In der bis dahin unbewohnten „Grünen Hölle“ Chaco, bekamen sie am 12. Juli 1921 von Paraguay die Erlaubnis, sich anzusiedeln. Es gab weder Strassen noch Flüsse in diese Wildnis. Man musste von Asunción 2 Tage mit dem Schiff nach Concepción, dann 12 Stunden Eisenbahn und die letzten rund 100km mit Ochsenkarren fahren. Erst 1961 wurde die rund 500km lange Strasse von Asunción nach Mariscal-Jose-Estigarribia und damit zu den Mennoniten gebaut und 1991 asphaltiert. 

Wir können die kleine Radiostation ZP-30 (610 kHz) besuchen und werden vom Direktor persönlich empfangen und durch die Räume geführt. Auch bei einer Behindertenwerkstatt, ähnlich der BSZ, der früheren Arbeitsstelle von Margrit, statten wir ohne Voranmeldung einen Besuch ab. Wir werden sehr freundlich empfangen und dürfen uns alle Einrichtungen ansehen und uns mit den Leuten, die alle Deutsch sprechen, lange unterhalten.

Auf der Fahrt von Filadelfia nach Neu-Halbstadt (beides Kolonien der Mennoniten östlich von Mariscal) überholt uns ein Auto. Es ist etwa 30 Grad warm und wir haben die Fenster offen. Aus dem überholenden Auto ruft uns jemand „hoi“ zu und hält vor uns an. Es sind zwei Schweizer die vor über 10 Jahren nach Neu-Halbstadt ausgewandert sind und sich uns als Hansueli und Barbara vorstellen. Sie laden uns zu sich nach Hause ein. Gerne folgen wir ihnen die 55km ausserhalb Neu-Halbstadt auf ihre 500 ha grossen Bauernbetrieb.  Sie haben rund 400  Rinder, 12 Pferde sowie Schweine, Hühner und Hunde. Die Landpreise sind auch hier gestiegen und liegen nun etwa bei umgerechnet 300 SFr. Das aber nicht pro m² sondern pro ha. Darauf darf man Wald bewirtschaften, Landwirtschaft betreiben, Häuser bauen, Strassen anlegen, was einem beliebt.

Nach wenigen Tagen müssen wir uns erneut trennen, von neuen Freunden. Versorgt mit vielen Tipps für die Weiterreise, kommen wir zügig voran und sind zwei Tage später in Asunción, der Hauptstadt Paraguays. Nach zwei Tagen haben wir genug Stadt gesehen und reisen zu einem weiteren ausgewanderten Schweizer, einige km östlich von Asunción. Bei René und seiner deutschen Partnerin Marion lernen wir auch Alice, die Mutter von René und ihr Partner, den aus Appenzell stammenden Bisch kennen. Die beiden sind über 70 Jahre alt und erst vor wenigen Jahren ausgewandert. Die vier betreiben vielseitige Geschäfte mit etwas Landwirtschaft, einer kleinen Teigwarenproduktion und zwei Gästehäusern. Wiederum werden wir herzlich aufgenommen und erfahren viel über das Leben und Arbeiten in Paraguay.

Am 29. April fahren wir weiter ostwärts, und kommen zum Km81. Da betreiben die Mennoniten ein Spital, aus Dankbarkeit gegenüber Gott und dem paraguayischen Volk für ihre neue Heimat im Chaco. Ursprünglich für Lepra Kranke gebaut, wurde in der Zwischenzeit das Spital erweitert und macht  nun auch ambulante Betreuung zu sehr niedrigen Preisen oder, wie im Falle von Lepra, ganz gratis für die Patienten.Gegen Abend des nächsten Tages kommen wir zu einer grossen Mühle mit dem Namen „hildebrand“. Wir gehen hin und fragen, ob wir uns die Anlage ansehen dürften. Uns erstaunt schon gar nicht mehr, dass bald ein deutschsprachiger Mitarbeiter erscheint und uns freundlich zu einem Rundgang einlädt. Allerdings sei morgen der 1. Mai, ein Feiertag. Aber wir möchten doch am 2. Mai morgens um 8.30 Uhr kommen. So legen wir einen Tag Fahrpause ein und stellen uns im Weiler „Bergthal“ an ein schattiges Plätzchen. Nach einer Stunde hält ein Auto und ein etwa 70 jähriger Mann spricht uns an, in Deutsch natürlich. Er lädt uns zu sich auf seinen grossen Bauernbetrieb ein. Den zeigt er uns und erzählt, wie er im Dorf einst Lehrer war, dann Land gekauft habe und nun einen Betrieb mit etwa 80 Milchkühen sowie Anbau von Weizen und Soja betreibe. Er gehört zu der Gemeinschaft der Mennoniten. Selbstverständlich dürfen wir auch über Nacht vor seinem Haus stehen.

Am nächsten Morgen fahren wir wie vereinbart zur Mühle und werden von einem Kadermitglied durch die Anlagen geführt.  Pro Tag werden etwa 200 Tonnen Mehl gemahlen. Daneben werden auch grosse Mengen Teigwaren und Futtermittel produziert. Überall dürfen wir hin, müssen einfach darauf achten, den Hubstaplern und Lastwagen nicht im Weg zu stehen. Die Firma legt Wert auf höchste Qualität ihrer Produkte und ist im Exportgeschäft sehr erfolgreich. Sie planen, die Produktion in den nächsten 6 Jahren zu verdoppeln.

Am Abend treffen wir erneut zwei Schweizer, Susanne und Ernst. Die beiden sind wie wir unterwegs und wir hatten uns bereits im Januar 2012 im Süden Argentiniens getroffen und waren anfangs Juli 2012 gemeinsam von Argentinien ins nördliche Chile gereist. Selbstverständlich gibt es gegenseitig viel zu erzählen. Im Gegensatz zu uns, kehren sie noch nicht so bald in die Schweiz zurück.

Für kurze Zeit verlassen wir am 5. Juni Paraguay. Wir besuchen die imposanten Wasserfälle von Iguazú. An über 150 Stellen gibt es verschieden grosse Fälle, mit Fallhöhen bis zu 90m. Sowohl von der argentinischen Seite als auch von der brasilianischen Seite zeigt sich uns ein spektakuläres Naturschauspiel. Bei Hochwasser stürzen insgesamt bis zu 6'500 Kubikmeter Wasser pro Sekunde nach unten. Als Vergleich, der Rheinfall hat maximal 1'250 m³/s.

Nach den Fällen von Iguazú, kommt das Wasser in den Rio Paraná. Dessen Wasser kommt aus dem riesigen Stausee Itaipú. 1975 wurde damit begonnen, die notwendigen Staumauern zu bauen. Ab 1984 wurden die ersten 18 Turbinen in Betrieb genommen. Neuerdings sind 20 Francis-Turbinen in Betrieb und liefern etwa 75 TWh Energie jährlich. Je die Hälfte der Energie geht an Paraguay und an Brasilien. Damit kann Paraguay seinen Strombedarf zu 80% decken und erst noch Strom an Brasilien verkaufen. In einer kurzen Führung, können wir das imposante Bauwerk ansehen. Für eine ausgiebigere technische Führung, hätten wir uns 1-2 Wochen im Voraus anmelden müssen.

Von Ciudad del Este fahren wir in Paraguay südwärts Richtung Uruguay. Einige km vor der Grenze  bei Encarnación, besuchen wir die beiden ausgewanderten Österreicher Ingrid und Michael. Die beiden und Michaels Mutter, die für 3 Monate hier in den Ferien weilt, haben wir früher unterwegs in Paraguay kennen gelernt. In einer idyllischen Landschaft erfüllen sich die ehemaligen Pflegefachleute hier einen ihrer Lebensträume. In einer Gegend mit viel Sonnenschein haben sie sich ein riesiges Grundstück gekauft und darauf ihr Haus mit grossen Garten, Bäumen, Schwimmbassin und einem Naturwald eingerichtet. Dank den sehr schön angelegten Wegen, konnten wir Teile des Waldes sogar im Rollstuhl erkunden. Obwohl es Herbst ist, zeigt das Thermometer knapp 30 Grad als wir bei ihnen eintreffen. Im Sommer könne es schon mal 40 Grad heiss sein, meinen unsere Gastgeber lachend, aber man müsse dann halt den Schatten aufsuchen. Gespannt verfolgen wir ihre Erzählungen, wie sie mit knapp über 50 die neue Heimat ausgewählt und sich nieder gelassen haben. Einmal mehr erfahren wir, dass Reisen auch immer wieder Abschied nehmen heisst. So müssen wir erneut Leute verlassen, die uns herzlich aufgenommen haben.

Nach knapp 5 Wochen verlassen wir Paraguay und fahren über die grosse Brücke bei Encarnación nach Argentinien. Erstaunt stellen wir fest, wie sich der Wert des argentinischen Pesos seit unserem letzten Besuch enorm verringert hat. Einen Tag später reisen wir bereits in Brasilien ein und nach einem weiteren Tag kommen wir zu unserem neunten und letzten Land Südamerikas, Uruguay.

Glücklicherweise haben wir von anderen Reisenden erfahren, wo bei der Grenze Brasilien/Uruguay Santana do Livramento/Rivera die amtlichen Stellen für die Aus- und Einreise sind. Die Grenze geht nämlich mitten durch die Stadt, entlang einer grossen Strasse. Eine Grenzkontrolle wie wir das bisher erlebten, gibt es nicht. Man kann beliebig zwischen den Ländern hin- und herpendeln. Erst viel später, schon weit in Uruguay, gibt es Polizeikontrollen die die Fahrzeugpapiere kontrollieren.

Die Fahrweise auf den Strassen ist sehr gesittet, es gibt gute Wegweiser und die Strassenqualität ist gut. Wir fühlen uns schon wie zu Hause. Auch die Landschaft erinnert oft an Europa. Viehwirtschaft und Getreideanbau prägen das Bild über weite Strecken. Riesige Sojafelder werden gerade geerntet. Es gibt viele Flüsse mit wunderbar angelegten Grillstellen. Für uns ideale Übernachtungsplätze. Es ist Spätherbst und wir sind fast überall alleine. Die Temperaturen liegen nachts zwischen 5 und 10 Grad, am Morgen hat es häufig Nebel, der sich später auflöst. Am Nachmittag wird es dann zwischen 13 und 18 Grad warm.

100km südlich von Rivera machen wir einen Abstecher ins kleine Dörfchen Valle Eden. Neben einem nicht mehr benutzen Bahnhof, gibt es dort das Museo Carlos Gardel.  Gardel gilt als eine der wichtigsten Persönlichkeit des Tangos in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Über seinen Tod bei einem Flugzeugunglück 1935 in Kolumbien gibt es keine Zweifel, hingegen streitet man sich um den Geburtsort. Das Museum versucht zu beweisen, dass er 1887 hier geboren wurde und nicht etwa 1890 in Toulouse.

Aus dem Valle Eden soll es gemäss unserer Karte eine Abkürzung zurück zur Hauptstrasse geben. Zunächst ist die Strasse nicht schlecht. Dann kommen erste Furts, mit geringer Wassertiefe. Nach jeder Abzweigung zu einer Estancia (Bauernbetrieb) wird die Strasse schlechter. Furt um Furt folgt mit steilen Ein- und Ausfahrten. Wir fragen uns, wie man ohne Geländefahrzeug da durchkomme und Margrit schaltet auf Geländegang um. Immer unwegsamer wird die zu Spuren in der Wiese verkommene Strasse. Schliesslich sehen wir einen Landwirt beim Füttern der Tiere, angereist auf dem Pferd. Wir fragen ihn, ob man da weiter komme. Sein energisches Kopfschütteln zeigt uns, Zeit den Rückwärtsgang einzulegen.

Im Ort Fray Bentos besichtigen wir einen grossen ehemaligen Industriepark, der heute noch als Industriemuseum dient. Der grosse Überschuss am Rindfleisch brachte 1862 den deutschen Giebert auf die Idee, nach einer Idee von Liebig, Fleischkonzentrat herzustellen. Das Büchsenfleisch wurde vor allem von Armeen und Expeditionen gekauft. Rund um die Fabrikation baute die Firma für die Arbeiter ein eigenes Dorf mit Läden, Schule und Spital. Als erste im Land, hatte das Dorf Elektrizität, aus der Fleischfabrik.  Auf der anderen Seite waren die Arbeitsbedingungen schlecht und es gab neben kleineren auch einen riesigen Unfall, bei dem ein Ammoniakbehälter explodierte und Tote und Verletzte forderte. Während der Blütezeit der Fabrik wurden pro Tag 1500 Rinder und bis zu 4000 Schafe verarbeitet.  Nach 117 Jahren, schloss 1980 die Fabrik ihre Tore. Fabriken in England produzieren aber bis heute Büchsenfleisch unter dem Namen Fray Bentos. Bevor wir Fray Bentos verlassen, stehen wir noch an der Plaza zum Einkaufen. Da kommen Leute des lokalen Fernsehsenders vorbei und machen mit Peter ein kurzes Interview und nehmen Bilder unseres Fahrzeuges auf.

Die letzte Woche unserer Reise durch Südamerika ist angebrochen. Wir sind nur noch wenige km von Montevideo entfernt, vor dem Haus eines ausgewanderten Schweizers. Schon bald werden wir auf dem Schiff „Costa d'Avorio“ die Rückreise nach Hamburg antreten.