Reise durch nördliches Norwegen und Schweden vom 11.8 bis 10.9.2019

Nach dem für russische Verhältnisse kurzen Grenzübertritt, 50 Minuten, begrüsst uns Norwegen mit mit 13 Grad und zunächst Regen. Am Nachmittag kommt kurz Sonnenschein auf. Wir fahren nach Kirkenes. Im gut gemachten  Grenzlandmuseum wird die Geschichte der Besiedelung und der Grenzen zu Russland, Finnland und Schweden gezeigt. Bergbau ist ein weiteres Thema. Er ist eine wesentlicher Faktor in der Entwicklung von Kirkenes und hält uns auch auf der weiteren Reise im Bann. Im Teil der Kriegsausstellung steht ein russisches Kampfflugzeug. Dazu wird sehr gut die Geschichte während des zweiten Weltkrieges dargestellt. Kirkenes war der Zentralstützpunkt der deutschen Wehrmacht. Damit wurde die Stadt Ziel von Bombenangriffen der Alliierten. 358 Mal wurden Bombenangriffe auf Kirkenes geflogen. Die Folgen waren furchtbar.

 

Nun fahren wir ganz in den Norden. Nein, nicht ans Nordkap. Das überlassen wir den vielen anderen Campern die wir, seit  wir Russland verlassen haben, sehen. Unser Ziel ist Berlevåg. Auf unserer Reise mit der Hurtigrute im Januar 2005, hatte dort das Schiff bei stürmischer See angelegt. Wir treffen das Schweizer Paar wieder, das damals schon das Camping und ein Glasatelier betrieb. Das Camping ist sehr schön. Super rollstuhlgängig, mit RolliWC, Dusche und schönem, geheizten Aufenthaltsraum. Genauso hat es für Margrit Waschmaschine und Tumbler. Wir verstehen uns sehr gut mit der Angestellten des Campings. Marika ist im Süden Finnlands aufgewachsen. Zum ersten Mal kommen unsere Sandbleche zum Einsatz. Nicht für uns, sondern um einem anderen Fahrzeug zu helfen, das in der nassen Wiese stecken geblieben ist.

 

Wir fahren noch zum nordöstlichsten Ort Norwegens in der Barentssee, Vardø. Die Insel ist mit einem Tunnel unter dem Meer  mit dem Festland verbunden. Dort besuchen wir das Hexenmahnmal Steilneset, das vom Schweizer Architekten Zumthor 2011 gestaltet wurde. Dies zum Gedenken an die 111 Frauen und 24 Männer, die im 17. Jahrhundert wegen Hexerei verurteilt wurden. Fast alle zum Tode durch Verbrennen auf dem Scheiterhaufen. Deren Namen und Geschichte werden gebührend dargestellt. Im Museum über den Handel mit den Pomoren erfahren wir, dass vom 18. bis anfangs 20. Jahrhundert,  Arkhangelsk, wo wir vor wenigen Wochen waren, das Handelszentrum für die Fischerei der Region war. Bereits 1789 herrschte im nördlichsten Norwegen der freie Handel mit Russland. Sie waren dem erst im 20. Jahrhundert eingeführten freien Handel im restlichen Europa weit voraus. 1917 setzten die Revolution und der darauffolgende Bürgerkrieg in Russland dem Handel ein Ende. 

 

Im weiter nördlichen Hammingberg endet die Strasse. Um 1900 lebten da 250 Leute und während der Fischereihochsaison kamen hunderte dazu. Bei einem Sturm im Winter 1910 wurde der Hafen zerstört. Darauf beschloss das norwegische Parlament ein Mole zum Schutz des Hafens zu bauen. Sie wurde erst 1925 fertig gestellt. Mit den grösseren Fischerbooten konnte der Hafen nicht Schritt halten. 1954 beschloss das norwegische Parlament den Hafen auszubauen. Der Beschluss wurde 11 Jahre später rückgängig gemacht. So wurde erstmals im Winter 1965 der Hafen geschlossen und die Stadt evakuiert. Vier Pensionierte bewohnten noch bis 1978 das Dorf während des ganzen Jahres. Heute ist der Ort im Winter unbewohnt und die Strasse dorthin wird nicht geräumt.

 

Auf unserem Weg westwärts, nördlich des 70. Breitengrades, treffen wir in Ifjord auf eine grosse Koppel mit vielen Rentieren. Es findet gerade der jährliche Anlass statt, wo die jungen Rentieren mit einer Art Ohrmarken markiert werden. Viele samische Familien nehmen an dem Anlass teil. Viele sind mit Wohnwagen oder Camper angereist.

Jedes norwegische Kind kennt die Trolle, Fabelwesen. Ein Troll ist ein übermütiger Unhold, der im Wald oder in den Bergen leben soll. Norwegische Trolle haben es schwer, denn sie müssen jeden Sonnenstrahl fürchten. Durch ihn werden sie unweigerlich zu Stein. Auf der Trollholmen Halbinsel finden wir in unmittelbarer Nähe solcher Opfer, einen schönen Übernachtungsplatz. Den Abend verbringen wir mit zwei jungen Deutschen aus Leipzig, die im ungeheizten PW schlafen und die Wärme im Duro geniessen.

 

Am 22. August besuchen  wir mit einem Führer von  Alta aus das Kraftwerk und die Staumauer am Altaelva. Dem 1987 in Betrieb genommen Kraftwerk gingen heftige Proteste der Samen voraus. Sie verliefen fast ohne Gewalt. Einzig drei Männer wollten eine der neu erstellte Brücken sprengen. Ihr Umgang mit dem Sprengstoff richtete an der Brücke keinen Schaden an, dafür wurde einer der Männer schwer verletzt.Die beiden anderen brachten ihn ins Spital und wurden verhaftet. Als der Verletzte nach mehreren Wochen wieder gesund war, entwich er aus dem Spital und setzte sich nach Kanada ab, wo er bei Indigenen untertauchen konnte. Nach Verhandlungen mit dem norwegischen Staat, kehrte er später nach Norwegen zurück, wo er vor Gericht kam. Er wurde zu 3 Monaten Gefängnis verurteilt. Heute ist der Mann ein in der Region bekannter Naturfotograf. Mit 150MW Leistung während der eisfreien Zeit, liefert das Kraftwerk einen wichtigen Beitrag zur Stromversorgung der Region. Früher waren Staumauer und Kraftwerk öffentlich zugänglich. Wegen der Angst vor Terroranschlägen sind heute die Anlagen nur noch mit Anmeldung und Führer möglich. Das schöne Besucherzentrum bleibt praktisch ungenutzt.

 

Für den Weg nach Tromsø benutzen wir die Strasse 91 mit den beiden Fähren. Am Jökelfjorden, 90km westlich von Alta, sehen wir einen Gletscher der direkt ins Meer mündet. Die letzten Kilometer zum Gletscher muss Margrit in einer anstrengenden Wanderung zurücklegen. Vom Übernachtungsplatz aus sehen wir nicht nur den Gletscher sondern im Fjord sogar Wale herumschwimmen und abtauchen. Ein schöner Ort, das kleine Dörfchen Saltnes.

 

Im Paris des Nordens, Tromsø, erfahren wir im Universitätsmuseum einiges zum Thema Nordlichter. Auch sehr interessant ist das Polarmuseum mit der Geschichte, Fotos und Gegenständen der Expeditionen von Nansen und Amundsen. Letzterer bestiegt hier 1928 das Wasserflugzeug Lathan um sich auf die Suche nach dem verunglückten Luftschiff Italia zu begeben. Davon kehrte er nicht mehr zurück. Der zweite Weltkrieg brachte für Tromsø keine Zerstörung, obwohl hier das grösste Schlachtschiff, die Tirpitz lag. Gerne hätten wir schon vorher in Alta das Tirpitz-Museum besucht, dort wo sie am 12. November 1944 von britischen Bombern versenkt wurde. Doch leider war um diese Jahreszeit das Museum nicht mehr geöffnet. Unseren Besuch in Tromsø schliessen wir mit dem Besuch der Eismeerkathedrale und einer Fahrt mit der Luftseilbahn auf den 421m hohen Storsteinen ab.

 

Die Fischerei ist ein Norwegen eine der wichtigsten Industrien. Neben dem Wildfang gewinnt die Zucht zunehmend an Bedeutung. In Finnsness besuchen wir die Ausstellung der industriellen Fischzucht SalMar. Es wird bildlich und mit interaktiven Texten erklärt, wie Fische gezüchtet werden. Von der Brut, über Fütterung und Krankheiten wird sehr viel dargestellt. Die Zuchtlachsforellen haben ein Gewicht von 4-5kg wenn sie geschlachtet werden. Das ist nach 2-3 Jahren der Fall. Das erste Jahr sind die Fische in Süsswasserbehältern bei 8 Grad, bevor sie ins kältere Meerwasser umgesetzt werden. Gefüttert werden sie automatisch mit Pellets, die eine fürs Wachstum und Qualität optimale Zusammensetzung haben. Dazu gehört Fisch, Soja, Weizen, Omega-3 Fette und Farbstoff. Letzterer dient dazu das Fleisch rot zu machen. Insbesondere im asiatischen Markt ist das sehr wichtig, Bei SalMar wird pro kg Fisch 1.15kg Futter benötigt. Im Vergleich dazu benötigt ein Poulet 2kg, ein Schwein 3kg und ein Rind 8kg Futter pro kg Fleisch. Antibiotika werden praktisch nicht mehr eingesetzt. Ganz anders als vor einigen Jahren. Die Fischflöhe etwa, werden durch andere Fische gefressen oder bei starkem Befall kommen die Fische 3 Tage in Süsswasser. Das bedeutet für die Flöhe das Lebensende. Die Fischbottiche stehen in Norwegen unter staatlicher Kontrolle. Man hat den Eindruck es herrschten dort sehr enge Platzverhältnisse für die Tiere. Tatsächlich sind aber nur 2.5% des Volumens Fische, der Rest ist Wasser. Mit zunehmender Weltbevölkerung wird der Anteil von Fisch am Speiseplan der Menschen immer wichtiger. Der grösste Teil der Erde ist mit Wasser bedeckt und wir sollten für die Lebensmittelproduktion nicht nur das Land nutzen.

 

Die Fähre bringt uns ganz in den Norden der Vesteralen, nach Andenes. Die dort übliche Walsafari haben wir bereits in einer früheren Kurzreise 1998 gemacht. Entlang der Atlantikküste fahren wir südwärts. In Stokmarknes widmen wir uns ausgiebig dem Thema  Hurtigruten. Das Museum zeigt sehr schön die Entwicklung der Postschiffe entlang der norwegischen Küste seit 1893. Wir entscheiden uns, eine kurze Schiffsreise zu machen. Mit dem südwärts fahrenden Hurtigrutenschiff Nordlys wollen wir nach Svolvaer auf die Lofoten, ohne Duro. Dort haben wir drei Stunden Zeit bis uns das nordwärts gehende Hurtigrutenschiff Richard With zurück nach Stokmarknes bringt. Wir durchfahren zuerst bei Tag und auf dem Rückweg bei Nacht einen der schönsten Abschnitte der Hurtigrutenstrecke. Die Sonne strahlt, als wir am späteren Nachmittag in den Trollfjord hinein fahren. Die Schiffe der Hurtigruten scheinen gut besetzt zu sein. Das Durchschnittsalter der Passagiere nimmt mit uns eher ab.

 

Wir verlassen Stokmarknes in nordöstlicher Richtung, über Sortland nach Harstad. Die Stadt ist zum Zentrum der nordnorwegischen Erdöl- und Erdgasförderung geworden. Uns interessieren zwei andere Themen. In einem netten Schnellimbissrestaurant werden auch Waschmaschine und Tumbler angeboten. Gelegenheit unsere Wäsche zu erledigen. Eindrücklich sind Gedenkstätte und Museum am Ort eines früheren Gefangenenlagers. Von 1940 bis 1945 hielt die Wehrmacht tausende Gefangene hier, unter furchtbaren Bedingungen. Sie galten bei den Nazis als Untermenschen und brauchten daher weniger Nahrung als Menschen. Sie mussten die militärischen Einrichtungen bauen, unter anderem die 41cm Hitler Kanonen, deren Geschosse sollten eine Reichweite von 48km haben. Eingesetzt wurden sie nie. Im Museum sind über 400 Personaldaten ausgestellt von russischen Gefangenen die hier starben. Im Gegensatz zu solchen Einrichtungen in Russland, gedenkt man in Norwegen nicht nur der Opfer aus den eigenen Reihen. Genauso wird das menschenverachtende Verhalten einiger norwegischer Militärs angeprangert.

 

Weiter südwestwärts kommen wir kurz vor Narvik zur 2017 eingeweihten Brücke. Sie ist 1.5km lang und Schiffe bis zu einer Höhe von 40m können darunter durchfahren. Mit dem Bau der Hålogaland Hängebrücke wurde 2013 begonnen. Sie kürzt den Weg über die alte Hängebrücke des Rombaksfjord um 18km ab.  

In Narvik müssen wir nach zwei Tagen unser Vorhaben aufgeben, mit der anfangs Jahr eröffneten Luftseilbahn auf den Berg Narvik Fjellet zu fahren. Wegen zu starken Windes wurde der Betrieb eingestellt. Zwar haben wir hie und da Sonne, dazwischen halt auch immer wieder kurze Regenschauer. In Narvik ist die riesige Verladestelle der Eisenerz Pellets aus Kiruna. Sie werden im Hafen, der das ganze Jahr eisfrei ist, auf die Hochseeschiffe verladen. Hierher kommen die Pellets mit der Bahn. 16 Züge mit 68 Wagen, jeder beladen mit 100 Tonnen Erz, fahren täglich von Kiruna nach Narvik. Deren Verlauf folgen wir nun in die Bergbaustadt Kiruna. Sie erwartet uns mit Regen und einer Temperatur von 5 Grad.  Als erstes gehen wir zur Touristeninformation. Wir wollen für die Tour ins Bergwerk LKAB um 14 Uhr buchen. Dabei erfahren wir, die Tour sei ausgebucht sie hätten aber eine Zusatztour die gerade beginne. So buchen wir kurzfristig und können gleich im Bus losfahren in das Besucherzentrum des Bergwerks das sich etwa 250m unter der Erdoberfläche befindet. Die Führerin ist sehr gut und erzählt in den 2 3/4 Stunden über die Geschichte, die Zukunft und die Bedeutung der LKAB in Kiruna. Kiruna ist die nördlichste Stadt Schwedens und hat etwa 20´000 Einwohner. Sie existiert nur, weil hier das gewaltige Eisenerzvorkommen unter der Stadt existiert. Hier ist das grösste Eisenerz-Bergwerk der Erde. Durch den Abbau des Eisenerzes rutscht von oben dauernd Geröll nach in die frei werdenden Räume. Damit senken sich die grubennahen Teile der Stadt um bis zu 10cm pro Monat. Deshalb wird es nötig, einen Teil der Stadt zu verschieben und die Häuser zurückzubauen. Dazu müssen 6000 Leute umziehen. Der neue Stadtteil wird 3km vom jetzigen Zentrum entfernt gebaut. Einige Gebäude werden vom alten zum neuen Ort gebracht. So bereits geschehen mit dem Glockenturm. Er steht neben der neu erbauten Stadthalle. Wir besuchen das darin neu errichtete Kunstmuseum. Es ist interessant zu sehen, wie hier geplant und gebaut wird. LKAB, der staatliche Bergbaukonzern, macht die Planung und Angebote für die Bewohner. Die entstehenden Kosten werden auf 1.6 Milliarden Franken geschätzt, die LKAB zur Verfügung stellen wird.

 

Bevor wir weiter südwärts fahren, machen wir noch einen Abstecher nach Jukkasjärvi und  Esrange. In Jukkasjärvi schauen wir uns den Platz an, wo im Winter das Eishotel aufgebaut wird. Seit 1989 steht es jedes Jahr dort mit Gästezimmern, Bar Sauna. Alles aus Eis. Esrange (European Space and Sounding Rocket Range) ist ein Ballon- und Raketenstartplatz. Ins eigentliche Startgelände können wir nicht. Hingegen gibt es ein Besucherzentrum. Die Einrichtung dient rein zivilen Zwecken.

 

In Gällivare sind wir am 9. September, bereits nach Saisonende. Die Besichtigung des Tagebau-Bergwerks ist nicht mehr möglich. Dasselbe gilt für das Wasserkraftwerk in Porjus. Am 29. Oktober 1944 wurde ein englischer Lancaster-Bomber beim Angriff auf das deutsche Schlachtschiff Tirpitz in Tromsø von der Flugabwehr getroffen. Es gelang den Piloten nach Schweden zu fliegen. Dort mussten sie notlanden. Die gesamte Besatzung überlebte die Landung im Moor bei Porjus. Das Flugzeugwrack ist über einen Bretterweg erreichbar. Leider waren die Bretter nur 35cm breit, zu schmal für den Rollstuhl. So musste Margrit alleine dorthin gehen.

 

Unser letzter Ort bevor wir den Polarkreis südwärts überqueren ist Jokkmokk.  Schon immer war es für die Samen ein wichtiger Ort. Hier war ihr Wintertreff. Heute hat es sich zum grössten Samenmarkt Schwedens entwickelt. Die Entwicklung der Region lernen wir im gut gemachten Ajtte Museum kennen, sogar mit einem Audioguide in Deutsch.

 

 

Bald sind wir  10‘000km seit unserer Abreise in der Schweiz gefahren. Die Wälder sind bereits sehr herbstlich und die Tage werden rapid kürzer. Für uns beginnt nun der Rückweg in die Schweiz. Wir werden zunächst in Schweden und dann in Finnland weiter südwärts fahren.